Als Mittwochabend, dem 04.05.2016, mein Flieger nach Rom ging, kannte meine Aufregung keine Grenzen mehr: Ich würde die einmalige Chance bekommen, am internationalen Lateinwettbewerb Certamen Ciceronianum in Arpino teilzunehmen; ein Wettbewerb, der zu Ehren des begnadetsten Anwalts, Philosophen und des fulminantesten Redners der Antike und der Gegenwart alljährig in Arpino–Ciceros Geburtsstadt–stattfindet. Begleitet wurde ich von meinem Vater Yavuz Karadas und von meinem Lateinlehrer J. R. Jüttner.
Da wir unser Hotel in Rom nachts erreichten, konnten wir die ewige Stadt erst am nächsten Tag richtig begrüßen. Wir nutzten den Vormittag, um das Colosseum, den Palatin und das Herz der Stadt–das Forum Romanum-zu besichtigen. Auch wenn ich schon einmal in Rom gewesen war, übermannte mich das Staunen erneut. Die unglaubliche Größe der erhaltenen Bauwerke aus längst vergangenen Zeiten, die filigranen Einzelbestandteile, der tolle Blick vom Palatin waren bei einem zweiten Besuch immer noch überwältigend und werden sicher auch bei einem dritten und vierten Besuch immer beeindruckend bleiben.
In der Mittagszeit mussten wir uns schon wieder von Rom verabschieden und wir fuhren mit dem Zug nach Frosinone; von dort aus sollte ein Bus die Wettbewerbsteilnehmer in ihre jeweiligen Hotels bringen–nicht alle befanden sich in Arpino selbst. Wir z.B. waren in Sora, einem Nachbardorf Arpinos, im Hotel Valentino untergebracht. Leider wussten wir vorher nicht, dass der angegebene Zeitraum, in dem sich die Teilnehmer in Frosinone einfinden konnten (bis 18:00 Uhr), so kalkuliert war, dass der ransfer zum Hotel erst nach Ankunft aller Teilnehmer beginnen würde. So verbrachten wir zunächst einmal zwei Stunden mit Warten im Bus.
Aber als es dann–nach einigen Fotos zur Begrüßung der Teilnehmer–endlich losging, konnte ich es kaum erwarten. Angekommen im Hotel durften wir unsere Zimmer beziehen und zunächst einmal unsere Mitbewohner kennenlernen (ich war mit zwei Mädchen aus Rumänien zusammen). Da ich grundsätzlich ein Sprachenfan bin, hat es mir besonders viel Freude bereitet, mich mit den Teilnehmern, die aus anderen Ländern kamen, auf Englisch oder Französisch zu unterhalten. Nach einer kleinen Pause ging es dann abends gegen 21:00 Uhr zum Essen in ein nahe gelegenes Restaurant. Nach dem anstrengenden Tag genossen wir alle das leckereEssen, das aus mehreren Gängen bestand. Als wir dann gegen Mitternacht endlich ins Bett konnten, war ich ziemlich erschöpft. Am nächsten Tag stand bereits die Klausur an. Um 9:00 Uhr begann die fünfstündige Klausur im Tullianum–Gymnasium. Zum Glück erhielten wir die Hinweise zur Klausur, die aus dem Übersetzen und Kommentieren eines Cicero-Textes bestand, auf Deutsch (wohlbemerkt war es das erste Mal, dass wir eine direkte Ansprache auf Deutsch erhielten, sonst wurden die meisten Informationen auf Italienisch weitergegeben). Überraschenderweise gab es zu dem Text Ciceros keine weiteren Angaben: weder eine Aufgabenstellung noch Hilfen oder eine Angabe, aus welchem Werk der Text stammte. Nach den fünf anstrengenden Stunden ging es für uns Schüler zum Essen. Nach der Stärkung hatten wir schließlich die Gelegenheit, die Akropolis zu besichtigen und einen atemberaubenden Blick über Arpino zu genießen. Hier lernten wir Teilnehmer uns näher kennen und auch wenn die Klausur noch viel Gesprächsstoff bereitstellte, so merkte man doch sehr schnell, dass alle eine große Einheit bildeten.
Nach einem weiteren gemeinsamen Abendessen schliefen wir auch an diesem Tag zwar müde, dafür aber erfüllt von ganz vielen neuen Erfahrungen, ein. Am Samstag sollten wir dann Arpino näher kennenlernen. Der erste–eher spontan organisierte– Programmpunkt bestand darin, die Kirche zu besuchen, an dessen Stelle Ciceros Landgut in der Antike gestanden haben soll. Für mich–als großer Fan von Cicero– blieb dieser Moment auch das Highlight der gesamten Reise. An keinem anderen Punkt der Welt konnte man Cicero schließlich näher sein als an dem Ort, an dem er selbst aufgewachsen ist.
Nach einer interessanten Erkundung der Stadt Arpino und einer Stärkung am Mittag, erwartete uns am Nachmittag ein weiteres Highlight: Wir besuchten die Benediktiner-Abtei Monte Cassino, wo zu unserer Begrüßung sogar eine lateinische Rede gehalten wurde. Einerseits war es ein tolles Erlebnis, weil die Rede inhaltlich an Einigkeit unter den Menschen appellierte. Die Wortwahl und die dabei eingeflossenen Verweise auf Cicero waren wirklich bewegend. Aber andererseits war es ein Beweis dafür, dass Latein lange keine tote Sprache ist. Viel mehr war es die Sprache, die alle Teilnehmer verband und die alle gleichermaßen verstehen konnten.
Am Samstagabend fand in Arpino eine Feier, die sogenannte „Juvenum nox“, statt (u. a. wurden Songs von Pink Floyd auf Latein gespielt). Am Sonntagmorgen stand schließlich die Preisverleihungsfeier an. Wegen der ganzen Erlebnisse in so kurzer Zeit dachte ich kaum an die Siegerehrung am Sonntag und hatte auch nicht erwartet, einen Preis zu gewinnen. Umso überraschter war ich dann, als im feierlichen Rahmen der Siegerehrung der 12. Platz an mich ging und ich einen Ehrenpreis erhielt. Alle geehrten Teilnehmer wurden von als Römer kostümierten Schülern des Tullianum–Gymnasiums den „Cicero–Weg“, ein Überbleibsel der früheren Straße, entlanggeführt und schließlich auf der Bühne ausgezeichnet. Bei den ersten zehn Siegern wurde jedes Mal sogar die Landeshymne gespielt. Team–Deutschland konnte sich noch zweimal freuen, denn unter den Top 10 waren noch zwei deutsche Sieger. Der erste Platz ging an Italien und wurde auch kräftig gefeiert.
Nach der Siegerehrung begann auch schon unsere Rückreise nach Rom. Mein Vater, mein Lehrer und ich verbrachten den restlichen Nachmittag und Abend mit der Erkundung des Vatikans und einem Spaziergang durch Rom, der uns unter anderem auch zur Piazza Navona, zum Pantheon und zum Trevibrunnen führte. Am nächsten Tag stand auch schon die Rückreise auf dem Programm. Nichtsdestotrotz nutzen wir unseren letzten Tag, denn unser Rückflug ging erst abends. So konnten wir die Kapitolinischen Museen besuchen und die atemberaubende Aussicht von der Kuppel im Vatikan genießen. Jetzt, wo ich wieder zuhause bin und alle Erlebnisse noch einmal Revue passieren lasse, kann ich definitiv sagen, dass die Reise nach Arpino ein wunderschönes Erlebnis war. Sicherlich hat mich auch die Ehrung bei der Preisverleihungsfeier gefreut, aber für mich war das Schönste an der Reise, einmal nach Arpino–zu Ciceros Wurzeln-zu kommen. Ich habe viele Teilnehmer kennengelernt und trotz der ganzen Anstrengung so viele neue Erfahrungen gesammelt, die mich in meiner Begeisterung für Latein umso mehr bestärkt haben. Besonders bedanken möchte ich mich an dieser Stelle bei meinem Vater, der meine Reise unterstützt hat. Vor allem aber möchte ich meinem Lateinlehrer danken, der einer-seits die Organisation übernommen, zahlreiche E-Mails mit den Organisatoren ausgetauscht und damit die Reise für mich zu einem unvergesslichen Erlebnis gemacht hat, der mich aber andererseits auch fachlich immer unterstützt hat, wenn ich z. B. nicht wusste, wie ich an die Vorbereitung herangehen sollte und der mir immer Mut gemacht hat, überhaupt bei einem solchen Wettbewerb anzutreten. Die Antike heutzutage so erleben zu dürfen, indem man historisch bedeutende Orte wie Arpino und Rom besucht, erinnert daran, dass Latein noch immer lebendig ist und steht ganz unter dem Motto Ciceros:
„Nescire, quid ante quam natus sis, acciderit, id est semper esse puerum“
(Cicero, Orator 120).
Ceylan Karadas